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Evangelische Heimstiftung entäuscht von Pflegepolitik in Baden-Württemberg
Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, kritisiert den von Sozialminister Manfred Lucha jüngst vorgelegte Entwurf eines Landespflegestrukturgesetzes. "Es kommt über Worthülsen und unverbindliche Eckpunkte nicht hinaus", so Schneider. Der Kommentar im Wortlaut.

"Scheinbar ist die Realität bei der Landesregierung noch immer nicht angekommen: Montagmorgen, halb acht in einem beliebigen Pflegeheim oder -dienst in Baden-Württem-berg. Die Mitarbeiter kommen nicht weg vom Telefon, weil eine Angehörige nach der anderen verzweifelt um Unterstützung bittet. Am Sonntag hat die Familie festgestellt, dass sie die pflegebedürftigen Eltern zuhause nicht mehr versorgen können. Die dramatische Suche nach einem Pflegeplatz, einer Tagespflege oder einen ambulanten Dienst beginnt. In den Pflegeheimen und -diensten ebbt die Welle der Anfragen die ganze Woche über nicht ab. Mitte der Woche kommen die Sozialdienste der Krankenhäuser hinzu, die ihre Patienten entlassen wollen, zuhause aber keine Versorgung sichergestellt ist. Jetzt in der Sommerzeit, wenn die Familie Urlaub braucht, nehmen die Anfragen nach Kurzzeitpflege zu, doch viel zu oft sind die Anrufe vergeblich, weil längst alle Plätze belegt sind.
In dieser dramatischen Situation legt der Landessozialminister den Entwurf eines Landespflegestrukturgesetzes (LPSG) vor, in dem auf allgemeine Ziele wie die Ausrichtung auf das Quartier, Modellkommunen, Pflegekonferenzen oder Digitalisierung abgehoben wird. Nach Überzeugung des Ministeriums soll die notwendige Grundversorgung durch "sozialraumbezogene Unterstützungsstrukturen" wie ehrenamtliche Angebote, aufsuchende Beratung oder digitale Anwendungen sichergestellt werden. Gleichzeitig soll das Gesetz zu tragbaren Pflegesätzen führen. Das ist angesichts der steigenden Investitionskosten und der ohnehin nicht mehr finanzierbaren Eigenanteile im Pflegeheim und der Weigerung des Landes, die Pflege zu fördern, mehr als ein schlechter Witz.
Dieses Worthülsengesetz enttäuscht auf ganzer Linie, weil es die Probleme nicht ernst nimmt und keine wirklichen Lösungen anbietet. Der Bedarf an pflegerischer Infrastruktur nimmt rasant zu und das Angebot kann längst nicht mit der Nachfrage mithalten. An vielen Orten gibt es eine dramatische Unterversorgung, bald wird das im ganzen Land so sein.
Während auf der Bundesebene mit einer konzertierten Aktion über drei Ministerien hinweg die Probleme in der Pflege angegangen werden, kommt Baden-Württemberg seiner gesetzlichen Verpflichtung, für eine ausreichende Pflegeinfrastruktur zu sorgen, nicht einmal halbherzig nach. Im Nachbarland Bayern hat man verstanden, dass Pflege ein allgegen-wärtiges und wichtiges Thema ist, das die Menschen mit Sorge umtreibt. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, aber das Pflegepaket in Bayern hat es in sich: Ab Herbst gibt das Land 400 Millionen Euro jährlich aus, für ein Landespflegegeld in Höhe von jeweils 1.000 Euro. Außerdem soll ein Landesamt für Pflege eingerichtet und ein Förderprogramm über 60 Millionen Euro jährlich aufgelegt werden.
Von einem solchen Engagement der Politik können Pflegebedürftige in Baden-Württemberg nur träumen. Das Land hat 2010 sein Förderprogramm eingestampft und überlässt seither die Pflegeinfrastruktur den Pflegeunternehmen und den Pflegebedürftigen. Dabei ist das Land gesetzlich dazu verpflichtet, für eine zahlenmäßig ausreichende und wirtschaftliche pflegerische Versorgungsstruktur zu sorgen. Es gibt aber lediglich ein Innovations-förderprogramm von weniger als drei Millionen Euro, ein Sonderprogramm für Kurzzeitpflege sowie kommunale Quartiersprojekte. Das ist knausrig und zeigt, dass die Bedeutung der Pflege in der Landespolitik noch nicht wirklich angekommen ist. Denn eine verantwortungs-volle Pflegepolitik sieht anders aus.
Landesförderprogramm kann Pflegenotstand lindern
Die EHS fordert deshalb ein Pflege-Infrastruktur-Förderprogramm mit mindestens 100 Millionen Euro jährlich. Es bedarf eines mutigen Programms mit dem Ziel, eine quartiersbezogene, zukunftsfähige und moderne Pflegeinfrastruktur in Baden-Württemberg zu schaffen, die für Angehörige und Pflegebedürftige bezahlbar ist. So kann gewährleistet werden, dass neue, wohnortnahe Einrichtungen der 5. Generation und Betreute Wohnungen mit flexiblen Leistungsangeboten entstehen, deren Größe und Ausgestaltung sich am örtlichen Bedarf und am Quartier orientieren. Auch der Ausbau von neuen Wohnformen kann über eine entsprechend hohe Förderquote beschleunigt werden. Die Förderung würde auch zu einer Reduzierung der Heimentgelte in betroffenen Einrichtungen führen und damit zu einer spürbaren Entlastung von Bewohnern und Angehörigen. Und: Jede Betreute Wohnung für Senioren entlastet den Wohnungsmarkt und macht Wohnraum frei für junge Familien.
Die grün-schwarze Landesregierung formuliert stets einen hohen Anspruch an eine bedarfsgerechte Sozialpolitik. In der Pflege gibt es da noch viel Luft nach oben. Der Entwurf eines Pflegeworthülsengesetztes und der beliebte Verweis auf die Enquetekommission Pflege reichen nicht aus, um die offensichtlichen Herausforderungen zu bewältigen. Es ist an der Zeit, dass das Land endlich eine Pflegepolitik gestaltet, mit der sie ihrer Verantwortung gerecht wird und dafür auch das nötige Geld zur Verfügung stellt."
Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung
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